Freitag, 20. Juni 2014

Nach der Operation

Man kann es nicht in Worte fassen, was in einem vorgeht wenn man weiß dass das eigene Kind festgeschraubt wird und der Kopf aufgesägt wird. Das Ding das da nicht reingehört, wird dann verflüssigt und dann rausgesaugt. Es ist mein Kind, an dem das gemacht wird, immer und überall hatte ich ihn beschützt und vielleicht war ich sogar oft etwas überbesorgt. Wie betäubt fuhr ich nach Hause und legte mich hin. Es war grauenvoll und entsetzlich, mein lautes Weinen konnte ich nicht unterdrücken.

11.30 Anruf vom Krankenhaus, Alles sei gut, man könnte ihn abholen.

Er erkannte uns sofort wieder. Hatte aber große Schmerzen. Sein Hals tat ihm sehr weh.

Auf der Intensiv flehte ich die Schwestern und Ärzte an ihm etwas gegen die Schmerzen zu geben. Sie wollten nicht, es war zu gefährlich, könnte zum Atemstillstand führen, sagte man mir.

Er hatte großen Durst, flehte dass er einen Schluck Wasser bekommen könnte. Er weinte: dass er verdursten würde...  eine lange Stunde musste er warten, bis ich ihm endlich Schlücklein für Schlücklein zu  trinken geben konnte.

Stunde um Stunde lasen wir ihm vor, lenkten ihn ab. Nachts saß sein Papa auf einem Stuhl bei ihm. Ein Bett bekam man nicht.

Schon nach einem Tag wurde der Druckverband abgemacht. Auf der Wunde klebte nur noch ein kleines Pflaster.

Zwei Tage blieb er auf der Intensiv, eine Art Hölle. Mehr will ich dazu nicht sagen.

Nach zwei Tagen, endlich. Wir durften auf die Station 30 i, Einzelzimmer, das haben wir uns aber redlich verdient.

Lao drehte sich nicht, er hatte tierische Angst den Kopf auch nur ein paar mm zu bewegen. Er bekam reichlich Schmerzmittel, Cortison, Magenschutzmittel. Sein Medikamentenspiegel war nun gut ausbalanciert und er klagte kaum noch über Schmerzen. Es ging ihm gut. Aß und trank leidlich, war gut orientiert und hörte interessiert und konzentriert unserem Vorlesemarathon zu.

Station 30 i
Endlich Ruhe :)
Tagsüber bekam er sehr viele Besucher, aber das tat ihm ganz gut.
Frau Marx, seine Lehrerin kam, Nina, die das Fsj in der Klasse machte, kam und spielte mit ihm. Maja und Rea, seine Freundinnen besuchten ihn.  Alle freuten sich, dass er langsam wieder beweglicher und mobiler wurde.

Am Freitag Abend wurde mir die Diagnose gesagt
Medullablastom mit Metastasen im Hirnstamm (inoperabel)
Chemie und Bestrahlung ein Jahr lang. Überlebenschance? keine, es geht hier nur um Lebenszeit Verlängerung.
Von sieben Kindern die das hatten, hat eines 7 Jahre überlebt, danach bekam es ein Rezidiv und ist daran dann doch gestorben.
Der Arzt der mir das sagte, sagte es mir sehr mitfühlend und behutsam.
So behutsam wie man es eben jemanden beibringen kann. Diese Realität als Realität anzunehmen ist brutal und nicht fassbar. Während des Eröffnen dieser grausamen Tatsachen hielt der Arzt  meinem Blick stand. Intensiv und gleichzeitig so vernichtend!

Lao war munter. Selbst in der Nacht machte er die Nacht zum Tag. Er hatte einen großes Mitteilungsbedürfnis. Die Ente gefiel ihm. Einfach pullern und das musste er viel, er nahm alles mit Humor.

Jeden Tag machte er nun Fortschritte.

Die Ärzte drängten auf Chemo. Sie wollten beginnen und das sofort.  Einen Pfort in den Kopf damit die Chemo direkt ins Gehirn fließen kann. Er braucht einen zentralen Zugang, der zwei Jahre liegen bleibe kann, diese Braunüle liegt dann in der Arteria Subklavia. Diese Dinge sollten baldmöglichst gemacht werden.

Aber Lao`s Familie ist sich einig. Keine Chemo keine Bestrahlung. Um den Ärztlichen Rat nicht zu folgen, braucht man schon eine starke Gewissheit was richtig und was falsch ist.. Chemo ist mit Sicherheit ein Garant für Elendiges Zugrundegehen, da braucht man kein Hellseher zu sein. Lao ist kein robustes Kerlchen, sondern das Gegenteil, er ist sehr sensibel und war schon immer überdurchschnittlich krank. Das würde er nie aushalten können. Zum Gesundwerden braucht er was anderes. Wir waren uns einig, dass die konventionelle Behandlung, Lao nicht helfen würde, Gesund zu werden.

Was ist Chemo?
Dr S. erklärte es uns so: Chemo zerstört die Zellen, alle, danach wenn alles kaputt ist,
 hofft man dass sich gesundes Gewebe wieder neu aufbaut. Wenn es dann doch zu einem Rezidiv (eine Neubildung von Krebs) kommt, wirkt leider keine Chemo mehr.

Wir waren so hilflos und verzweifelt. Die Diagnose war so schockierend. Wir, der Papa und seine Freundin und ich, waren nur noch für Lao da. Wir wollten immer in seiner Nähe sein. Statt uns pflichtbewußt um unseren Job zu kümmern und ihn zu sichern, (wir waren alle Selbständig) verbrachten wir die Nächte im Krankenhaus. Versteckten unser Weinen vor ihm. Wollten trotz dieses Albtraums Stärke zeigen.
Die Oma kam jeden Tag nach der Arbeit um ihn ein paar Stunden etwas vorzulesen. Woher sie nur die Kraft nahm? Selbst die Uroma, mit ihren 85 Jahren, besuchte ihn, sie brauchte für einen Weg 1 1/2 Stunden, aber für ihren Urenkel ist ihr nichts zuviel.
Lao`s Opa und seine Frau, sie konnten ihre Verzweiflung kaum verbergen, besuchten ihn und waren für ihn da. Die Familie gab uns inneren Rückhalt, sie rückte zusammen während draußen die Welt zusammen brach.

Was muss man sich alles anhören?

Eine blonde Seelsorgerin im Minirock kam uns besuchen: "Gott gibt nur das was man braucht. glauben Sie nicht, dass Sie um etwas bitten können. Gott erhört keine Bitten, Ich habe schon genug Kinder von hier beerdigt...." Sie traf mich im Krankenhausflur, Sie fragte mich ob sie das Kind noch besuchen könnte, natürlich sagte ich nein. Lao braucht bestimmt niemand die schon ans Beerdigen denkt.
Sozialarbeiterin Frau F, : "Die Kinder sterben, auch wenn sie leben wollen..."
.Was bezweckt sie damit? Ich war mit der Uroma und Lao spazieren, da hat sie mich abgefangen, sie wollte etwas mit mir bereden. Hätte ich das gewust, dass sie die alles Wissende spielen will,  hätte ich sie stehen gelassen.
 Und immer mega lange Gespräche mit den Ärzten: "Ihr Kind wird es nicht schaffen. Aber wir können ihm Zeit schenken, es geht nicht um Heilung sondern um Lebensverlängerung..." Dabei sitzt Frau Fischer dabei. Sie sucht meinen Blick ich weiche ihn aus. Fühle mich wie ein verletztes in die Enge getriebenes Tier.

Es ist so unerträglich.....
Als einziger Schutz den man vor solchen Prognosen hat,
ist auf Durchzug zu schalten und alles zu ignorieren.
Sowas ständig und von jedem zu hören, zeigt wie menschenverachtend so ein Krankenhaus ist. Wie kann eine Seelsorgerin oder eine Sozialarbeiterin aufgrund von statistischen Erkenntnisse ungefragt Todesurteile ausprechen? Das ist unnötig und gefährlich. Diese Personen puhlen wohl gerne in offenen Wunden rum, anstatt uns hilfreich zur Seite zu stehen.
Man möchte meinen dass die Wahrheit vom zuständigen Arzt zu erfahren, genügen sollte. Das saß und sollte reichen, denkt man. Aber viele andere springen auf den Zug auf und wollen es einem ständig unter die Nase reiben, dass wir ein Kind  mit begrenzter Lebenszeit haben. Das man den Tatsachen ins Auge schauen sollte. etc bla bla

Ich werde niemanden mehr meine Aufmerksamkeit schenken,
und hüte mich vor Menschen die mir nur weh tun möchten.

Gut, dass die gesamte Lao Familie, da objektiv bleibt und uns Zuversicht und Mut gibt. Wir lassen uns nicht auf Hoffnungslos programmieren. Es gibt keinen Grund nicht an eine Heilung zu glauben.

David Ben-Gurion sage einmal: Wer nicht an Wunder glaubt ist kein Realist!

 Kein Wunder dass man die Fenster auf der Station nicht ganz öffnen kann, sondern nur leicht kippen. Warscheinlich würden sich sonst täglich die Eltern mitsamt den Kindern auf die Straße werfen. Bei mehr als 30 Grad Aussentemperatur glich das Krankenzimmer einem Backofen. Zusätzlich musste man noch einen blauen Plastikkittel anziehen, wenn man das Krankenzimmer verließ. Aus allen Poren lief der Schweiß.  Auf der Intensiv sind resistente Keime aufgetaucht, damit wir die nicht auf der Station verteilen, sollte diese Plastikkittel einen Schutz darstellen. Es wurde ein Abstrich von uns gemacht, am dritten Tage konnten wir befreit aufatmen, wir waren sauber und konnten uns ab jetzt ohne Schutzkleidung auf der Station bewegen.

 Es scharten sich immer wieder kleine Gruppen von Medizin Studenten um uns und befragten uns. Ich erzählte denen von den Anfangs Symptomen, Kopfschmerzen, Übelkeit, heftiges Erbrechen, Gangstörungen. Ich sagte Ihnen dass wir kostbare Zeit verloren haben, weil die Ärzte es nicht ernst genug nahmen und keine Ahnung hatten. Vielleicht hätte er keine Metastasen gehabt, wenn man ihn rechtzeitig operiert hätte.

Freitag; Entlassung auf eigenen Wunsch. Wir wollen schnell raus hier.

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